Berlin. Die Mindestlohnkommission hat im Jahr 2020 eine Reihe von Forschungsprojekten beauftragt, deren Endberichte nun veröffentlicht werden. In elf quantitativen und qualitativen Studien wurden entsprechend der gesetzlich vorgesehenen Evaluationskriterien relevante Fragestellungen zu den aktuellen Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns beleuchtet.
Die Mindestlohnkommission beauftragt in einem zweijährigen Zyklus Forschungsprojekte,deren Ergebnisse in die Berichte der Mindestlohnkommission an die Bundesregierung zu den Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns einfließen. Die Abschlussberichte der einzelnen Forschungsprojekte werden zudem durch die Mindestlohnkommission und die durchführenden Forschungsinstitute veröffentlicht.
In den Abschlussberichten der aktuellen Forschungsprojekte werden Befunde zu den Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf Löhne und Arbeitszeiten, auf Beschäftigung und Arbeitslosigkeit, auf Betriebe und ihre Wettbewerbsbedingungen, auf Saisonarbeit sowie auf individuelle Beschäftigungsbewegungen und betriebliche Lohnstrukturen veröffentlicht. Zudem wurden Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf den Bezug von Sozialleistungen, auf Armut, auf das Konsumverhalten sowie die Folgen der Corona-Pandemie für Beschäftigte im Mindestlohnbereich untersucht. Der Beobachtungszeitraum reicht dabei von 2014 bis 2021 und variiert je nach Forschungsprojekt und verfügbarer Datenlage.
Hinsichtlich Löhnen und Beschäftigung werden in den vorliegenden Studien die Ergebnisse früherer Forschungsprojekte zur Auswirkung des Mindestlohns weitgehend bestätigt. Es können hauptsächlich Effekte für die Mindestlohneinführung nachgewiesen werden, während die Erhöhungen des Mindestlohns für sich genommen keine oder kaum zusätzliche Effekte ausgelöst haben. Insgesamt führte der gesetzliche Mindestlohn zu deutlichen Stundenlohnsteigerungen bei sehr moderaten negativen Beschäftigungseffekten.
Für Monatslöhne seien dem Projekt zu Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf Löhne und Arbeitszeiten zufolge in den deskriptiven Analysen Erhöhungen im Zeitverlauf seit der Einführung des Mindestlohns erkennbar, die in den Kausalanalysen jedoch nicht ursächlich auf den Mindestlohn zurückgeführt werden könnten. Deskriptive und kausale Analysen der Arbeitszeit zeigten einen mindestlohnbedingten Rückgang der Arbeitszeit, der jedoch relativ klein ausfalle. In der Corona-Pandemie vorgenommene Arbeitszeitverkürzungen betrafen Beschäftigte im Niedriglohnbereich stärker als Beschäftigte mit höheren Verdiensten, da diese besonders häufig in von der Pandemie stark betroffenen Wirtschaftszweigen tätig seien. Hinsichtlich der Lohnmobilität zeige sich ein positiver Effekt des Mindestlohns auf die Gesamt- und die Aufwärtsmobilität der Bruttostundenlöhne.
Der Untersuchung der Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf individuelle Beschäftigungsbewegungen und betriebliche Lohnstrukturen zufolge habe sich die Lohnungleichheit innerhalb von Betrieben bei Betrieben mit hoher Mindestlohnbetroffenheit relativ zu Betrieben, die nur in geringem Maße betroffen waren, verringert. Der Rückgang der Gesamtbeschäftigung sei im Wesentlichen auf eine Abnahme der geringfügigen Beschäftigung zurückzuführen. Die Ergebnisse für die geringfügige Beschäftigung speisten sich dabei in erster Linie aus einem deutlichen Rückgang der Einstellungen in diese Beschäftigungsform bis Ende des Jahres 2019.
Dem Projekt zur Untersuchung der Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf den Bezug von Sozialleistungen zufolge hätten der Mindestlohn und die nach dem Jahr 2016 erfolgten Mindestlohnerhöhungen die Bedürftigkeit von Grundsicherungsbeziehenden und die fiskalischen Ausgaben für Grundsicherungsleistungen reduziert, auch wenn der Leistungsbezug häufig nicht überwunden werden konnte. In der Untersuchung der Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf Armut konnte auf regionaler Ebene kein Zusammenhang festgestellt werden, auf individueller Ebene zeige sich jedoch ein statistisch signifikanter reduzierender Effekt des Mindestlohns auf das Armutsrisiko bei Paaren mit und ohne Kinder sowie bei jüngeren Erwerbstätigen.
Dem Projekt zu den Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf die Wettbewerbsbedingungen zufolge habe der Mindestlohn nur geringe Auswirkungen auf die Entwicklungen des Unternehmensbestandes und die Entwicklung der Arbeitsproduktivität in Deutschland gehabt. Besonders vom Mindestlohn betroffene Arbeitsmarktregionen wiesen einen leichten Rückgang des Unternehmensbestandes auf. Dieser Effekt scheine insbesondere aus einem Anstieg der Marktaustritte kleinster Unternehmen mit vier oder weniger Mitarbeitern zu resultieren. Auch die Untersuchung zu den Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf Betriebe und Unternehmen kommt zum Schluss, dass sich die Anzahl der Kleinbetriebe in Deutschland aufgrund der Mindestlohneinführung verringert habe, da es zu einer etwas stärkeren Zunahme von Betriebsschließungen als von Betriebsgründungen bei Kleinbetrieben gekommen sei. Außerdem hätten die erhöhten Lohnkosten durch den Mindestlohn zu sinkenden Gewinnen in den betroffenen Betrieben geführt, während die Entlohnungszufriedenheit der betroffenen Beschäftigten angestiegen sei.
Im Rahmen einer qualitativen Studie zur Untersuchung der Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Mindestlohnbetriebe und Mindestlohnbeschäftigte wurden vor allem die Übergänge zwischen Phasen der staatlich verfügten Schließung und der Öffnung als schwierig bezeichnet. Aus betrieblicher Sicht wurde allgemein von einer Verschärfung des Arbeitskräftemangels berichtet, da häufig Branchenwechsel insbesondere aus dem Gastgewerbe aufgetreten seien. Die mit Kurzarbeit verbundenen Einkommensverluste wären vor allem für Mindestlohnbeschäftigte in geringfügiger Beschäftigung und solche, die auf Trinkgelder angewiesen sind, gravierend gewesen.
In einer qualitativen Untersuchung zu den Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf Saisonbeschäftigung in der Landwirtschaft und im Gastgewerbe ergaben sich Anhaltspunkte dafür, dass die Höhe der Stundenlöhne mit Einführung des Mindestlohns in der Landwirtschaft deutlich und im Gastgewerbe moderat gestiegen seien. Höhere Lohnkosten hätten sich in der Regel in verminderten Gewinnmargen der Betriebe niedergeschlagen. Vor allem landwirtschaftliche Sonderkulturbetriebe seien in Reaktion auf die Mindestlohneinführung vielfach dazu übergegangen, ihren Saisonbeschäftigten die Kosten für die zuvor meist kostenlos gewährten Unterkunftsleistungen in Rechnung zu stellen. Durch die Dokumentationspflicht des Mindestlohngesetzes seien die gesetzlichen Höchstarbeitszeiten stärker in den Fokus gerückt.
Die einzelnen Abschlussberichte zu den Forschungsprojekten sind abrufbar auf
www.mindestlohn-kommission.de/projektberichte.